Rätsel der Vergangenheit: Der unterirdische Gang

Stadtplan Herzberg mit Mönch
Sagenumwoben: Der geheime Gang

Fast jeder Herzberger kennt ihn, doch nur wenige haben ihn je mit eigenen Augen gesehen. Die Rede ist von dem geheimen unter­irdischen Gang in unserer Stadt. Wie lange ist es her, dass ihn jemand beschritten hat? Was mag er alles gesehen haben, was kann er erzählen? Welche Schätze sind dort verborgen? Nicht nur die Archäologen würden staunen!

Der geheime Gang beginnt einer alten Chronik zufolge etwa zwei Meter westlich vom Eingang der Grochwitzer Kapelle in der St.-­Marien-Kirche. Von hier aus führt er hinüber zum Rathaus und weiter querfeldein über den Markt. Zum Teil unter den Häusern der Mönchstraße hinweg endet er schließlich auf dem alten Klostergelände. Hier, auf dem heutigen Grundstück der Familie Kathrin Fritzsche und Steffen Kaiser in der Mauerstraße 5, befindet sich der Ausgang in einem verschütteten Brunnen. Neben dem alten Birnenbaum erkennt das geschulte Auge deutlich die Stelle an einer leichten Vertiefung und an der Verfärbung der Grasnarbe. 

Angelegt haben den Gang einst die Mönche des wahrscheinlich schon im 13. Jahrhundert gegründeten Augustiner-Eremiten-Klosters, um in geheimer Mission zwischen ihrem Kloster und der Stadtkirche unentdeckt verkehren zu können und im Falle eines räu­berischen Überfalls fliehen zu können. 

In jüngster Zeit hat der Stadtverordnete Christian Voigt im Keller seines Wohnhauses Kirchstraße 2 einen weiteren Zugang entdeckt. Ein Hinweis auf ein unentdecktes Tunnelsystem? Detektivischer Spürsinn ist nun gefragt. Eine erste Öffnung und Begehung des Ganges von der Kirchstraße 2 aus ist geplant für Dienstag, den 1. April, 6 Uhr morgens. Wir dürfen gespannt sein!

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass das betreffende Haus in der Kirchstraße dem von 1800 bis 1813 amtierenden Bürgermeister Johann Ernst Caspar gehörte. Da der vermutete Gang an der Ostwand des Tonnengewölbes in Richtung Rathaus weist, ist dessen Funktion wohl eindeutig. 

Offen bleibt warum der Gang von der Kirche zum Kloster über einen Abzweig zum Rathaus verfügte? Konnten sich die Mönche, Bürgermeister und Ratsherren etwa heimlich Zugang in den Ratskeller verschaffen, um dort unheimlich viel Bier zu trinken. Denn eine Menge Bier gehört schon dazu, um den eben geschilderten Unsinn glaubhaft zu machen! 

Bedauerlich, aber wahr – es gibt definitiv keinen unterirdischen Gang, 20 Jahre baubegleitende Archäologie haben das hinreichend bewiesen. Trotzdem wird der Gang im neuzeitlichen Sagenschatz der Stadt Herzberg ewig bestehen bleiben. Die Damen und Herren Archäologen haben einfach nicht tief genug gegraben …

Ulf Lehmann